Fundamento destacado: 2. b) […] Die Beschwerdeführer bemängeln gerade nicht, dass das Finanzgericht tatsächlich nicht vorschriftsmäßig besetzt war, weil die Richter nach Gesetz oder Geschäftsverteilung nicht zu einer Mitwirkung bestimmt gewesen wären oder sie nicht die gebotene Neutralität und Unabhängigkeit aufgewiesen hätten. Sie beanstanden vielmehr, dass während der Videoverhandlung nur eine einzige Kamera (ohne ihrerseits steuerbare Zoomfunktion) zum Einsatz gekommen ist und daher nicht die Möglichkeit bestanden habe, die über die Vollzähligkeit hinausgehende mentale Anwesenheit und Unvoreingenommenheit der Richterbank überprüfen zu können. Gerügt wird damit im Kern, dass insbesondere ein etwaiger Befangenheitsgrund für die Beschwerdeführer gegebenenfalls nicht erkennbar gewesen wäre.
Dies allein genügt aber noch nicht, um auf das Vorliegen eines bösen Scheins oder eines Verdachts der Befangenheit, die zu einer Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter führen könnten, zu schließen. Nur die unrichtige Besetzung, nicht die fehlende Möglichkeit von deren (rechtzeitiger) Überprüfung begründet eine Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter (anders der Bundesfinanzhof im Beschluss vom 30. Juni 2023 – V B 13/22 -, BFH/NV 2023, 1175 ff.). Entsprechend führt nur der tatsächlich befangene Richter, nicht dagegen der fehlende Nahblick und die damit einhergehende Unsicherheit, ob Verhalten oder Gestik und Mimik für eine Befangenheitsprechen könnten, zu einer fehlerhaften Besetzung des Gerichts. Der Schutz des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG kann nicht in den Bereich bloß möglicher Verletzungen vorverlagert werden. Anderenfalls würde der gesetzliche Richter auch an spekulativen Erwägungen und dem Einlassungsgeschick der Beteiligten gemessen werden.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT – 1 BvR 1615/23 –
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
1.der Frau (…),
2.des Herrn (…),
– Bevollmächtigter: Rechtsanwalt (…) –
gegen
a) den Beschluss des Bundesfinanzhofs vom 30. Juni 2023 – I B 60/22 -,
b) das Urteil des Finanzgerichts München vom 22. September 2022 – 15 K 1834/20 –
hat die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
die Richter Christ,
Wolff
und die Richterin Meßling
gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473)
am 15. Januar 2024 einstimmig beschlossen:
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
G r ü n d e :
1. Die Beschwerdeführer sehen sich in ihrem Recht auf den gesetzlichen Richter nach Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verletzt, weil ihnen im Rahmen der von ihnen nach § 91a FGO beantragten Videoverhandlung durch den Einsatz nur einer Kamera, die die gesamte Richterbank in der Totalen abbildete, und mangels von ihnen steuerbarer Zoomfunktion die Möglichkeit genommen worden sei, die Unvoreingenommenheit der Richter durch einen Blick ins Gesicht zu überprüfen.
2. Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen, da Annahmegründe nach § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen. Der Verfassungsbeschwerde kommt weder grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu, weil die wesentlichen verfassungsrechtlichen Fragen zum Recht auf den gesetzlichen Richter in diesem Zusammenhang geklärt sind, noch ist ihre Annahme zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte der Beschwerdeführer angezeigt. Eine Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter wegen einesfehlenden Nahblicksin die Gesichter der Richter im Laufe einer Vi-deoverhandlung erscheint nicht möglich.
a) Nach Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG darf niemand seinem gesetzlichen Richter entzogen werden. Das bedeutet zunächst, dassin jedem Einzelfall kein anderer als derjenige Richter tätig werden und entscheiden soll, der in den allgemeinen Normen der Gesetze und der Geschäftsverteilungspläne der Gerichte dafür vorgesehen ist (vgl. BVerfGE 4, 412 <416>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 1. Juli 2021 – 2 BvR 890/20 -, Rn. 13). Der Verfassungsbestimmung muss aber eine weitergehende Bedeutung beigemessen werden. Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG kann nicht als eine nur formale Bestimmung verstanden werden, die stets schon dann erfüllt ist, wenn die Richterzuständigkeit allgemein und eindeutig geregelt ist (vgl. BVerfGE 21, 139 <145>).
Das Grundgesetz gewährleistet den Beteiligten eines gerichtlichen Verfahrens darüber hinaus, vor einem unabhängigen und unparteilichen Richter zu stehen, der die Gewähr für Neutralität und Distanz gegenüber allen Verfahrensbeteiligten und dem Verfahrensgegenstand bietet. Neben dersachlichen und persönlichen Unabhängigkeit des Richters (Art. 97 Abs. 1 und Abs. 2 GG) ist es wesentliches Kennzeichen der Rechtsprechung im Sinne des Grundgesetzes, dass die richterliche Tätigkeit von einem „nicht beteiligten Dritten“ ausgeübt wird. Diese Vorstellung von neutraler Amtsführung ist mit den Begriffen „Richter“ und „Gericht“ untrennbar verknüpft. Die richterliche Tätigkeit erfordert daher unbedingte Neu-tralität gegenüber den Verfahrensbeteiligten. Das Recht auf den gesetzlichen Richter aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG gewährt deshalb nicht nur einen Anspruch auf den sich aus dem Gerichtsverfassungsgesetz, den Prozessordnungen sowie den Geschäftsverteilungs- und Besetzungsregelungen des Gerichts ergebenden Richter, sondern garantiert auch, dass der Betroffene nicht vor einem Richtersteht, der aufgrund persönlicher odersachlicher Beziehungen zu den Verfahrensbeteiligten oder zum Streitgegenstand die gebotene Neutralität vermissen lässt. Dieses Verlangen nach Unvoreingenommenheit und Neutralität des Richters ist zugleich ein Gebot der Rechtsstaatlichkeit (vgl. BVerfGE 133, 168 <202 f., Rn. 62> m.w.N.). Die Frage, ob Befangenheitsgründe gegen die Mitwirkung eines Richters sprechen, berührt so die prozessuale Rechtsstellung der Verfahrensbeteiligten (vgl. BVerfGE 89, 28 <36>).
b) Hieran gemessen stellen die angegriffenen Entscheidungen keinen Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG dar.
[Continúa…]


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